Guten Abend und herzlich willkommen im Feilenhauer. Heute präsentieren wir Christian Morgensterns Galgenlieder mit Andreas Cincera –Kontrabass solo und Rezitation. Ein Abend auf den ich mich schon lange, lange freue. Denke ich an Galgenbruder Rabenaas – bürgerlich Morgenstern – denke ich an Berlin. Und es ist seelenwärmend, wenn man geschätzten Ort und berührendes Wort verbinden kann. Nach dem heutigen Abend, wird es ganz bestimmt einen Morgensternort mehr für mich geben. Als erstes ein Gedicht.
Berlin
Ich liebe dich bei Nebel und bei Nacht,
wenn deine Linien ineinander schwimmen, –
zumal bei Nacht, wenn deine Fenster glimmen
und Menschheit dein Gestein lebendig macht.
Was wüst am Tag, wird rätselvoll im Dunkel;
wie Seelenburgen stehn sie mystisch da,
die Häuserreihn, mit ihrem Lichtgefunkel;
und Einheit ahnt, wer sonst nur Vielheit sah.
Der letzte Glanz erlischt in blinden Scheiben;
in seine Schachteln liegt ein Spiel geräumt;
gebändigt ruht ein ungestümes Treiben,
und heilig wird, was so voll Schicksal träumt.
(1906)
Als zweites ein Bild, eine Strassenszene. Brave Bürger schlafen längst. Die Galgenbrüder duldete man immer nur einmal in einem Lokal mit ihren seltsam schaurigen Begrüssungszeremonien (dem einen oblag das Durchschneiden des Lebensfadens, welcher symbolüberladen von der Lampe überm Kneipentisch hing) und sie sangen ihre Galgenlieder. Der stumme Hannes trug Fisches Nachtgesang vor. Und abermals flogen die sechs Galgenbrüder noch mittendrin auf die Strasse – der Wirt bangte um der anderen Gäste Seelenheil und Konsumation – die Galgenbrüder also unterm Arm die schnell zusammengeklaubten, absonderlichen Requisiten: ein Galgenbaum, ein Kinderskelett (nichts echtes, ein Karnevalulk), rostige Schwerter mit Theaterblut und Hufeisen… Schräge Vögel! Machen bei Nacht das Gestein lebendig.
Und hier wie immer: Suppe, Süsses, Bier und Wein.
Viel grauslichwohliges Vergnügen mit Andreas Cincera!
Applaus.